Land gegen Frieden. Welche Illusion!
- vorstand35
- 28. Jan.
- 5 Min. Lesezeit
Der verbrecherische Krieg der Moskowiter gegen die Ukraine geht nun bald in sein viertes Jahr. Alle vollmundigen Ankündigungen haben sich als falsch herausgestellt - als leere Drohungen, als halbherzige oder überzogene Versprechen.

Von der Ankündigung Putins, die Ukraine in einem Blitzkrieg zu besetzen und die staatlichen Strukturen zu zerstören, von seiner Phantasie eines Enthauptungsschlags gegen Kyjiw, von seinen aberwitzigen Drohungen mit der Atombombe. Die Ukrainer – Männer und viele Frauen – kämpfen unter Einsatz ihres Lebens um ihr Land, um ihren Staat, um ihre Gemeinschaft, um ihre Familien. Viele kämpfen freiwillig, viele mit der Motivation, für ihre Kinder die freie, unabhängige und selbstbestimmte Ukraine zu erhalten. Viele kämpfen, weil sie müssen. Und viele sind geflohen: Frauen und Kinder wurden von ihren Männern und Vätern an die polnische, ungarische, rumänische, moldauische Grenze gebracht und dort unter Tränen verabschiedet. Wie die Reise in den und das Leben im sicheren Westen sein würde, konnte niemand wissen, und was die Männer, die vor dem Grenzbalken kehrt machten und in ihre Armeeeinheiten einrückten, dort erwartete, war nicht abschätzbar: Was ist Krieg für jemanden, der Krieg zuvor noch nie erlebt hatte?
Für viele war es der Tod, für noch viel mehr eine schwere Verletzung, der Verlust von Armen oder Beinen, lebenslange Traumata. Für manche war es Heldenmut, für andere Feigheit. Manche sind seelisch zerstört von der Front zurückgekehrt und leben heute zu Hause bei ihren Eltern und ihrer Familie, andere haben sich nach ihrer Genesung wieder ihren Einheiten angeschlossen.
Aber es gab auch viele Männer, die aus Angst vor dem Krieg geflohen sind – sich die Ausreise um viel Geld erkauft haben oder unter großem Risiko über die grüne Grenze geflohen sind. Nicht so wenige haben ihren Fluchtversuch mit ihrem Leben bezahlt, sind in den eiskalten Fluten der Theiss ertrunken, in den Karpaten erfroren, in den Bergen abgestürzt. Wem steht es zu, über individuelle Beweggründe für die Flucht zu urteilen?
Der verbrecherische Krieg hat aber auch zu einer großen Welle der Solidarität im Westen geführt, Millionen Frauen und Kinder wurden in der EU, aber auch in anderen Ländern aufgenommen. Auch Österreich hat einen – wenngleich im Vergleich zu anderen kleinen Ländern – bescheidenen Beitrag geleistet. Und schließlich hat die EU und zusätzlich noch die meisten europäischen Staaten individuell bedeutende Mittel bereitgestellt, damit der ukrainische Staat seine wichtigsten Aufgaben erfüllen und sich auch verteidigen kann.
Hilfe zur Selbstverteidigung – Waffen und Munition – kam immer zu spät und immer zu wenig. Was besonders schmerzt, war die lange Weigerung der westlichen Verbündeten, entsprechende Luftabwehr zur Verfügung zu stellen. Das hat es Moskowien erlaubt, ganze Landstriche und Städte von der Luft aus zu zerstören, Kraftwerke, Krankenhäuser, Umspannwerke, Fabriken, Büros und Einkaufszentren, Schulen und Kindergärten, Museen, Kirchen und Wohnhäuser kaputt zu schießen, ohne selbst auch nur das geringste Risiko einzugehen. Erst spät im letzten Jahr wurde es möglich, die großen Städte einigermaßen zu schützen.
Die Ukraine hat in den ersten Kriegsmonaten gelernt, dass sie sich auch selbst verteidigen, aber auf kriegsentscheidende Hilfe aus dem Westen nicht rechnen kann. Und so wurde begonnen, aus dem Nichts eine eigene Verteidigungsindustrie aus dem Boden zu stampfen und Waffen herzustellen, die für die Schwächung der moskowitischen Armee unbedingt notwendig sind. Waffen, mit denen die Kriegslogistik, Öl- und Treibstoffvorräte, Waffenfabriken, Raffinerien, Eisenbahnstrecken und Waffenlager angegriffen werden können. Heute braucht die Ukraine keine westlichen Waffen, um Ziele in 800, 1000, 1200 km Entfernung anzugreifen und auszuschalten, braucht keine westlichen Waffen, um die Schifffahrtswege im Schwarzen Meer für den Export von Getreide in die Hungergebiete dieser Welt freizuhalten. Dennoch sind das Land und seine Verteidiger in vielerlei Hinsicht von den Waffenlieferungen des Westens abhängig: Panzer, Artillerie, Munition und Granaten, Aufklärung, Luftwaffe, Minenräumung, etc. Ohne Hilfe des Westens hätte die Ukraine keine Chance.
Die Menschen der Ukraine und der Staat haben sich dafür entschieden, den Weg in den Westen zu gehen. Das heißt, weltanschaulich westliche Werte von Demokratie und Republik umzusetzen: freie und faire Wahlen, Minderheitenschutz, Gewaltenteilung, unabhängige Justiz, freie Medien. Um diese Ziele zu erreichen, kämpfen sie. Dieser Kampf ist ein Nein zu Despotie, Diktatur, Korruption – kurz: ein Nein zu einem weißrussischen und moskowitischen Weg (auch wenn er oft sehr beschwerlich und unendlich lang scheint).
Dass die Ukrainer und Ukrainerinnen mit ihrem Kampf tatsächlich unsere Werte und unsere mittel- und westeuropäischen Gesellschaften vor dem moskowitischen Imperialismus schützen, habe ich lange nicht geglaubt und erst spät verstanden. Putin will nicht ein paar hundert Quadratkilometer ukrainischen Landes seinem Reich anschließen, er will Moskowien als imperiale Großmacht wieder aufbauen und seine Einflusszone zumindest bis zum alten eisernen Vorhang ausdehnen. Das verstehen unsere nahen und entfernteren Nachbarn sehr gut: von Finnland, Norwegen und Schweden über das Baltikum, Polen, Tschechien, der Ukraine bis nach Moldawien und Rumänien. Nur die Regierungen der Slowakei und von Ungarn versuchen einen anderen Weg: Putin durch Unterwürfigkeit milde zu stimmen. Aber Putin legt die Politik von Orban und Fico als deren Schwäche aus. Und für Schwäche hat Putin nur Verachtung übrig.
Nun ist in den USA, auf die die Ukraine ganz besonders zählt, ein Mann an die Macht gekommen, der vollmundig erklärt, den Krieg in der Ukraine – zuerst – an einem Tag, dann binnen hundert Tagen, jetzt in kurzer Zeit beenden zu können. Lächerlich, dies für bare Münze zu nehmen. Dennoch setzen viele Menschen in der Ukraine ihre Hoffnungen in die neue Führung der USA. Die bleibt aber kryptisch, droht einmal Putin, kündigt dann die Einstellung aller Auslandshilfen an und erzeugt so Unsicherheit.
Die Menschen in der Ukraine sind kriegsmüde. Jede Stadt, jedes Dorf kann von moskowitischen Raketen und Drohnen angegriffen werden und für niemanden gibt es diese Sicherheit: mich wird es nicht treffen (dennoch hoffen alle Menschen gerade darauf – auch ich).

Land gegen Frieden, das sei eine Formel, die zum Frieden führen könnte, meinen manche. Ich glaube nicht daran. Ja, sie kann zu einem Waffenstillstand führen. Waffenstillstand ist aber eine Zwischenzeit, die ein Kriegsherr braucht, um seine Streitmacht zu reorganisieren, neue Truppen zu rekrutieren, weitere Waffen zu produzieren, um dann den Krieg weiterzuführen.
Frieden, das müsste heißen: Das Existenzrecht des ukrainischen Volkes, seines Staates und sein Selbstbestimmungsrecht anzuerkennen und zu akzeptieren, welchen Weg das ukrainische Volk gesellschafts-, verteidigungs- und wirtschaftspolitisch auch immer gehen mag. Frieden, das müsste heißen anzuerkennen, dass die mittelosteuropäischen Länder sich dagegen entschieden haben, irgendeine besondere Nähe zu Moskowien zu wollen. Und Frieden, dauerhafter Frieden müsste wohl auch heißen, dass Moskowien Entscheidungsfreiheit auch den anderen Völkern in seinem Kolonialreich zubilligt – den Völkern im Kaukasus und in Sibirien. Manche werden bei Moskowien bleiben wollen, andere werden sich für ihre Unabhängigkeit entscheiden.
Dieser Prozess wird Moskowien nicht erspart bleiben – ihn hat noch keine europäische imperiale Macht vermeiden können: weder das Habsburger (um gleich bei uns selber anzufangen) noch das Deutsche Reich, weder Frankreich noch England, weder Spanien, Portugal, die Niederlande noch Italien.
Aber Moskowien ist noch weit davon entfernt, sich von seinem Imperialismus zu verabschieden. Und damit meine ich nicht nur den moskowitischen Diktator, sondern auch die Masse der Bevölkerung, für die ein Moskowien in den eigenen nationalen und ethnischen Grenzen nicht vorstellbar ist. Für die ein Sich-Bescheiden auf die eigenen kulturellen Leistungen nicht denkbar ist, für die ein Heimatland, das als gleiches unter gleichen und gleichberechtigten europäischen und asiatischen Ländern existiert und lebt, nicht sein darf.
Der Frieden für die Ukraine muss, davon bin ich überzeugt, deshalb in Moskowien beginnen. Zu wünschen wäre, dass dies durch einen friedlichen Wechsel in den Einstellungen und Erwartungen der moskowitischen Bevölkerung möglich wird. Zu befürchten ist aber, dass dieser Wandel eine nationale Katastrophe braucht – so, wie sie auch die anderen europäischen Kolonialmächte gebraucht haben.
Frieden für die Ukraine wäre auch ein Frieden für Moskowien und für uns alle. Noch ist er nicht in Sicht.




